Rebekka Künzler

Rebekka Künzler – Strassensperre

bleiwiis 2015 – Anerkennungspreis Kat. 1

Sintflutartiger Regen ergiesst sich über die Dächer der Ansammlung heruntergekommener Häuser. Errichtet im Goldrausch, klammern sie sich heute an die verlassene, einst goldschwere Strasse und gleiten leise hinter den Schleier der Vergessenheit. Jetzt rauschen hier nur die weiten Wälder, gepeitscht von den Winden eines energischen Herbststurms.

Diese Winde sind es, die meine Gedanken aufwirbeln, während der Regen meine in Stein gemeisselte Entschlüsse erweicht, sie fortspült, bis sie mit den gefallenen Tropfen im Boden versickern. Durchnässt und durchgefroren erspähe ich endlich das warme, einladende Licht durch den grauen Regenschleier. Ich habe die Distanz unterschätzt; Vielleicht wäre ich besser im Bus geblieben. Erleichtert stosse ich die Tür zum einzigem Lokal des Ortes auf und lasse das feindliche Wetter hinter mir.

Drei Tische, eine kurze Bar mit sechs Hockern, ein Zigarettenautomat. Vorhänge vor den Fenstern schlucken das wenige Licht, das durch trübes Glas dringt. Man könnte meinen, es wäre Abend, doch die Zeiger der Uhr stehen auf viertel vor Elf. Mein Eintreten lässt die Wirtin aufblicken. Sie ist eine ältere Frau, trotz leichtem Übergewicht wirken ihre Wangen eingefallen; Sorgen und Alkohol haben ihre Spuren hinterlassen. Nach wachsamer Musterung ihrerseits und einem verlegenem, hoffentlich vertrauenerweckendem Lächeln meinerseits legt sie den Putzlappen beiseite und bedeutet mir, mich zu setzen. Kurze Zeit später kehrt sie mit einer Tasse Tee und einem Frottiertuch zurück. Besorgnis, gemischt mit mütterlicher Fürsorge und Neugier, steht ihr ins Gesicht geschrieben. Denkt sie, ich sei weggelaufen? Es würde mich nicht wundern: Ich bin siebzehn, mache einen elenden Eindruck, habe lediglich meinen Rucksack bei mir und bin gestrandet im Nirgendwo – bei letzterem bin ich zumindest nicht die einzige, die anderen dürften bald eintreffen.

Sosehr mich ihre Sorge um meine Vergangenheit rührt, die Sorge um meine Zukunft beschäftigt mich mehr. Brütend sitze ich über meiner Tasse, wende sie hin und her, gerade so schnell, dass ihr Inhalt nicht überschwappt. Habe ich überreagiert? Solange die Reise nach Plan verlaufen ist: Nein, es war genau richtig so. Nach dem Zwischenfall mit dem Bus und den wahrscheinlichen Konsequenzen: Eher ja.

Heute ist bereits der dritte Tag, der Tag ihrer Heimkehr. Sobald Sie den Brief lesen, werden sie zahlreiche Fragen haben – und keine Antworten erhalten, denn ich befinde mich fernab der Reichweite der nächsten Mobilfunkantenne.

Die heutige Morgendämmerung ist kühl, neblig und trügerisch ruhig gewesen; sie erschien mir verheissungsvoll. Zum einen lag eine unsichtbare, aber deutlich spürbare Spannung – die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm – in der Luft. Andererseits wurde ebendiese Spannung von meiner nervösen Vorfreude verstärkt. Mein Gedankenkarussell drehte sich unablässig und es schien mir unmöglich, es zum Stillstand zu bringen.

… das Ende der Geschichte kannst Du im Bleiwiis-Buch 2015 nachlesen.